Match4Solutions GmbH

30 % mehr KI-Streitfälle bis 2028 – warum juristische Risiken zur größten Wachstumsbremse werden könnten

Künstliche Intelligenz hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht – und genauso schnell, wie sie neue Märkte und Möglichkeiten erschließt, wächst auch der rechtliche Graubereich, in dem sie sich bewegt. Eine aktuelle Prognose der Economic Times warnt: Bis 2028 könnten rechtliche Auseinandersetzungen rund um KI um bis zu 30 % zunehmen. Der Grund ist nicht etwa eine plötzliche Zunahme an KI-Fehlern, sondern die wachsende Diskrepanz zwischen technischen Innovationen und der global uneinheitlichen Regulierung.

Die nächsten Jahre könnten damit zur juristischen Reifeprüfung der KI-Industrie werden. Unternehmen, die heute mit großen Sprachmodellen, autonomen Systemen oder KI-getriebenen Datenanalysen arbeiten, müssen lernen, zwischen Chancen, Haftungsrisiken und Compliance-Vorgaben zu navigieren – und zwar in Echtzeit.

Warum das Risiko jetzt steigt

Das rasante Wachstum der KI-Branche ist ein globales Phänomen. Zwischen 2020 und 2025 hat sich die Zahl der registrierten KI-Unternehmen weltweit mehr als verdoppelt. Doch während Start-ups, Forschungseinrichtungen und Big-Tech-Konzerne neue Anwendungen auf den Markt bringen, sind die rechtlichen Leitplanken noch im Entstehen.

In den USA herrscht derzeit ein Flickenteppich aus Bundes- und Einzelstaatenregeln. Europa führt mit dem EU AI Act zwar den umfassendsten Rechtsrahmen weltweit ein, doch dieser wird erst 2026 vollständig gelten. China verfolgt dagegen einen stärker zentralisierten Ansatz, bei dem KI-Inhalte und Trainingsdaten schon heute staatlich reguliert werden.

Das Ergebnis: Globale Unternehmen agieren in einem hochkomplexen, fragmentierten Umfeld, in dem ein KI-System in einem Land legal, im nächsten aber unzulässig sein kann. Für Firmen mit internationalen Kund:innen oder Datenflüssen bedeutet das ein erhebliches Haftungsrisiko.

Konfliktfeld 1: Urheberrecht und Trainingsdaten

Eines der größten Streitfelder bleibt die Frage, wem die Inhalte gehören, mit denen KI-Modelle trainiert werden. Die meisten großen Sprachmodelle (LLMs) und Bildgeneratoren basieren auf gewaltigen Mengen öffentlich zugänglicher Daten – darunter oft urheberrechtlich geschütztes Material.

Mehrere Sammelklagen in den USA und Europa zeigen, dass Autor:innen, Musiker:innen, Fotograf:innen und Medienhäuser ihre Rechte verletzt sehen. In einem der prominentesten Fälle einigte sich das US-Unternehmen Anthropic im Jahr 2025 auf einen Vergleich in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar mit Verlagen und Urheber:innen. Zwar betraf der Vergleich vor allem vergangene Werke, doch er markierte einen Präzedenzfall für künftige Lizenzverhandlungen.

Auch in der EU ist die Situation kompliziert. Der Artikel 4 der Urheberrechtsrichtlinie (DSM-Richtlinie) erlaubt sogenanntes Text and Data Mining, schränkt dieses aber durch Opt-out-Klauseln ein. Rechteinhaber:innen können ihre Werke also vom Training ausschließen – was die Datenlage für KI-Firmen fragmentiert und schwer kalkulierbar macht.

Juristisch entsteht hier eine neue Herausforderung: Selbst wenn ein Unternehmen Trainingsdaten von Drittanbietern bezieht, bleibt es haftbar, wenn darin geschütztes Material enthalten ist.

Konfliktfeld 2: Haftung bei KI-Fehlern

Ein weiterer Brennpunkt sind Fehler oder Schäden, die durch KI-Systeme entstehen. Wer haftet, wenn ein autonomes Fahrzeug einen Unfall verursacht oder ein KI-gestütztes Diagnose-Tool eine Fehleinschätzung trifft?

In der Praxis ist diese Frage hochkomplex. Viele Systeme sind hybrid aufgebaut: Sie kombinieren menschliche Entscheidungen mit maschinellen Vorschlägen. Dadurch wird die Verantwortlichkeit schwer fassbar.

Die EU versucht, mit der geplanten Richtlinie zur KI-Haftung Klarheit zu schaffen. Sie soll eine Beweislastumkehr einführen – das heißt: Im Zweifel muss der Hersteller oder Betreiber einer KI nachweisen, dass kein Fehler im System vorlag. Für viele Unternehmen wird das eine Umstellung sein, denn sie benötigen künftig lückenlose Dokumentationen, Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen (Explainability) und eine revisionssichere Aufzeichnung von Trainings- und Einsatzdaten.

In den USA entstehen ähnliche Debatten rund um die sogenannte „Product Liability“. Hier könnte KI künftig wie ein fehlerhaftes Produkt behandelt werden – mit entsprechenden Klagewellen.

Konfliktfeld 3: Datenschutz und Datenflüsse

KI-Systeme basieren auf Daten, und Daten sind rechtlich geschützte Güter. Besonders in Europa gilt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) als strenger Maßstab. Wenn KI-Modelle personenbezogene Daten verarbeiten, müssen Unternehmen sicherstellen, dass diese anonymisiert, zweckgebunden und rechtskonform genutzt werden.

Doch das ist in der Praxis kaum vollständig überprüfbar. Viele Modelle werden mit Millionen von Datenpunkten trainiert, deren Herkunft nicht im Detail dokumentiert ist. Wenn ein Modell später vertrauliche Informationen reproduziert – etwa Passagen aus sensiblen Dokumenten –, kann das schnell zu Datenschutzverstößen führen.

Hinzu kommen internationale Datenübertragungen. Ein in den USA trainiertes Modell, das Daten europäischer Nutzer:innen verarbeitet, fällt gleichzeitig unter EU- und US-Recht. Selbst kleine Start-ups geraten dadurch in ein juristisches Spannungsfeld, das sie kaum überblicken können.

Konfliktfeld 4: Fehlinformation und KI-generierte Inhalte

Ein neues, rasant wachsendes Risiko betrifft die Verbreitung von Fehlinformationen durch KI-Systeme. Deepfakes, synthetische Stimmen und automatisch generierte Nachrichten können gesellschaftliche und politische Prozesse beeinflussen.

In Wahljahren, wie 2024 in den USA oder 2025 in mehreren EU-Ländern, führte das bereits zu Diskussionen über Wahlbeeinflussung. Plattformbetreiber und Content-Anbieter stehen unter Druck, solche Inhalte zu kennzeichnen oder zu filtern.

In Kalifornien wurde gerade das Gesetz SB 53 verabschiedet, das große KI-Anbieter verpflichtet, Sicherheitsprotokolle offenzulegen und Vorfälle innerhalb von 15 Tagen zu melden. Damit soll eine Art Frühwarnsystem entstehen, das Transparenz schafft, aber auch rechtliche Verantwortung festschreibt.

Das Problem: Die Definition, wann ein „Vorfall“ vorliegt, bleibt unklar. Unternehmen riskieren Bußgelder, wenn sie melden – und ebenso, wenn sie nicht melden.

Warum 30 % mehr Streitfälle realistisch sind

Die Prognose eines 30-prozentigen Anstiegs bis 2028 ist nicht aus der Luft gegriffen. Sie ergibt sich aus einer Kombination von Faktoren:

  • Mehr Gesetze, mehr Überschneidungen: Je mehr Rechtsrahmen weltweit entstehen, desto mehr Konflikte entstehen an den Schnittstellen.
  • Steigende wirtschaftliche Bedeutung von KI: Je größer die Umsätze, desto höher das juristische Interesse.
  • Unklare Verantwortlichkeiten: KI-Systeme sind arbeitsteilig, dezentral und adaptiv – das erschwert Zuordnungen.
  • Neue Akteure: Open-Source-Modelle, Start-ups und Individuen bringen juristische Vielfalt, aber auch Unsicherheit.

Besonders betroffen dürften Unternehmen in den Bereichen Gesundheit, Finanzen, Mobilität, Bildung und Medien sein – also überall dort, wo KI direkt mit sensiblen Daten oder realen Menschen interagiert.

Strategien, um rechtliche Risiken zu reduzieren

Für Unternehmen gibt es keine Patentlösung, aber klare Prinzipien, die helfen, Streitigkeiten vorzubeugen.

1. Dokumentation und Nachvollziehbarkeit
Jede Phase der KI-Entwicklung – von der Datenerhebung über das Training bis zum Einsatz – sollte dokumentiert werden. Diese „Model Card“-Dokumentation ist nicht nur Best Practice, sondern zunehmend rechtlich erforderlich.

2. Interne Audit-Systeme
Viele Firmen implementieren mittlerweile AI-Governance-Frameworks, die regelmäßig prüfen, ob Modelle ethisch, technisch und rechtlich konform sind. Das hilft, potenzielle Verstöße früh zu erkennen.

3. Explainability und Human Oversight
Systeme, die nachvollziehbare Entscheidungen liefern, senken das Haftungsrisiko. Wenn Menschen kritische Entscheidungen überprüfen, lässt sich Verantwortung klarer zuordnen.

4. Datenschutz by Design
Daten sollten nur verwendet werden, wenn sie notwendig sind – und mit Einwilligung oder rechtlicher Grundlage. Trainingsdaten anonymisieren und Modelle regelmäßig testen, um ungewollte Rückschlüsse zu vermeiden.

5. Vertragliche Absicherung
Unternehmen sollten Haftung und Verantwortung klar vertraglich regeln – insbesondere, wenn sie KI-Systeme von Drittanbietern einsetzen. „Joint Responsibility Clauses“ können helfen, Streitfälle zu vermeiden.

Ausblick: Von der Rechtsunsicherheit zur Reifephase

Juristisch betrachtet befindet sich die KI-Industrie derzeit in einer Transformationsphase, ähnlich wie die Internetwirtschaft in den frühen 2000er Jahren. Damals führten fehlende Regeln zu einer Welle von Abmahnungen, Gerichtsverfahren und Präzedenzurteilen. Heute entsteht aus diesem Chaos ein stabiles Fundament – und genau das passiert nun mit KI.

In den nächsten Jahren werden Richter:innen und Gesetzgeber:innen weltweit Präzedenzfälle schaffen, die Standards für Verantwortlichkeit, Transparenz und Datenschutz setzen. Gleichzeitig werden Unternehmen lernen, KI-Compliance als Wettbewerbsvorteil zu verstehen.

Denn eines ist klar: Die Zeit, KI als „experimentelle Technologie“ zu behandeln, ist vorbei. Sie ist längst zu einem geschäftskritischen Werkzeug geworden – und wer damit arbeitet, muss dieselben rechtlichen Standards erfüllen wie in jeder anderen Industrie.

Fazit

Die Prognose eines 30-prozentigen Anstiegs an KI-Streitfällen bis 2028 ist kein Alarmismus, sondern eine logische Folge der rasanten Entwicklung in einem unvollständig regulierten Markt. Der Druck wächst von allen Seiten: von Regierungen, Gerichten, Verbraucherschutzorganisationen und der Öffentlichkeit.

Für Unternehmen bedeutet das: Prävention wird zur besten Verteidigung. Wer früh in Governance, Dokumentation und Transparenz investiert, senkt nicht nur sein juristisches Risiko, sondern stärkt auch das Vertrauen von Kund:innen und Partner:innen.

KI ist nicht das Problem – mangelnde Kontrolle und fehlende Klarheit sind es. Der rechtliche Reifeprozess hat begonnen, und 2028 könnte das Jahr sein, in dem sich entscheidet, ob die Branche an der Regulierung wächst oder an ihr scheitert.

Schreibe einen Kommentar